„Zucker-waaatte!“
„Zucker-waaatte!“, ruft Ella und bleibt direkt vor einer Jahrmarktbude stehen. Die ganze Bude ist voll mit bunten Naschereien. Ellas Augen werden immer größer und ihre Zungenspitze wandert langsam über ihre Lippen, als ihr das Wasser im Mund zusammenläuft. Lecker, denkt sie. Neben ihr gackern Kinder auf einem Karussell; die Pferde, Feuerwehrautos und Kraken, auf denen sie sitzen, tanzen im Takt der Musik, die aus einem Lautsprecher dudelt, auf und ab. Überall blinken Lichter. Hanno stellt sich vor, er würde in dem Feuerwehrauto sitzen. Aber seine Schwester hat nur Augen für die Schlemmer-Bude und versucht Mama dichter zu ziehen. Hier duftet die Luft nach gebrannten Mandeln, Zuckerstangen, Crêpes und karamellisierter Zuckerwatte.
„Maamm-aaaa – ich möchte eine Zuuuuccckeeerwaaaaattteeee!“, wiederholt Ella energisch. Bei dem Gedanken an Zuckerwatte läuft nun auch Hanno das Wasser im Mund zusammen. „Heute lieber nicht mein Schatz“, sagt Mama und versucht weiterzugehen, aber Ella macht sich an ihrer Hand schwer wie ein nasser Sack. „Sonst hast du keinen Platz mehr fürs Abendessen“, sagt Mama. „Doooch! Versprochen Mama!“, fleht Ella. „Mama, ich möchte auch eine!“, meint Hanno und sein Magen brüllt wie ein Bär. Er hat genug Hunger für zwei Abendbrote, denkt er.
„Hört mal her ihr beiden“, sagt Mama und hockt sich vor Hanno und Ella hin, „Es ist gar nicht gesund, wenn ihr immer so viel Zucker verdrückt.“ Hanno stöhnt: „Aber wir essen doch gar nicht viel Zucker Mama!“ Da muss Mama schmunzeln, sie prustet, dann fragt sie: „Und was ist mit der Schokoladencreme auf deinem Frühstücksbrot, mein Liebling? Wenn ich mich richtig erinnere, dann hattet ihr heute sogar beide ein Schokocremebrot.“ Aber dann zwinkert Mama Hanno und Ella zu. „Ich habe da eine Idee: Wenn ihr nachher zum Abendbrot ein großes Stück Schwarzbrot esst, dann können wir jetzt eine kleine Ausnahme machen. Aber nur, wenn wir uns alle drei eine kleine Zuckerwatte teilen.“
„JAA!!“, jubelt Ella und lässt Mamas Hand los. Dann stiefelt sie in Richtung der Bude und stellt sich auf die Zehenspitzen, um dem Mann in der Bude beim Drehen der Zuckerwatte auf die Finger zu schauen. „Na los Hanno, sonst futtert Ella die Zuckerwatte doch ganz alleine auf“, flüstert Mama Hanno zu. Als sie näherkommen, schüttet der Mann in der Bude ein bisschen Zucker in einen Metallbehälter, der sich im nächsten Moment so schnell dreht, dass einem vom Hinschauen schwindelig wird. Mit einem Stab fängt der Mann die Zuckerfäden ein. Erst einen, dann immer mehr, so viele, dass sie untereinander verkleben und zu einer großen rosa Zuckerwolke zusammenwachsen. Hanno fängt an zu grübeln: Warum heißt diese Süßigkeit eigentlich „Zuckerwatte“, wenn sie doch eigentlich viel fluffiger ist, als die Bastelwatte in der Schule?
„Vielen Dank, die ist sehr schön geworden“, sagt Mama, als der Mann ihr die fertige Zuckerwatte über den Tresen reicht. „Oh Mama, sieh doch! Hier gibt es auch Zuckerstangen und Mandeln!“, ruft Hanno und zeigt auf die bunten Naschereien in der Bude. Dabei läuft ihm immer mehr Wasser im Mund zusammen. Das sieht alles so lecker aus, denkt er, und Jahrmarkt ist ja nun wirklich nicht jeden Tag, da muss man das doch auskosten. „Nein, Hanno. Wir hatten eine Abmachung, eine Zuckerwatte für uns drei und nichts weiter. Das ist zwar alles lecker, aber wir können nur eins zurzeit essen. Sonst bekommst du Bauchschmerzen“, sagt Mama und bezahlt die Zuckerwatte.
Auf dem Weg zum Auto hält Mama die Zuckerwatte fest, sodass sie alle drei abwechselnd ein Stück abreißen und naschen können. Bis sie beim Auto ankommen, haben Hanno und Ella eine süße Zunge und klebrige Hände und auch Mama hat einen kleinen Zuckerbart. „Das war leee-cckee-eer!“, Ella seufzt und grinst Mama über beide Wangen an, als sie ihr die Hände und den Mund mit einem Taschentuch abputzt. Dann krabbelt Ella in ihren Kindersitz auf der Rückbank. Als Mama das nächste Taschentuch in Hannos Richtung streckt, verzieht er das Gesicht. „Pfui!“, stöhnt er, „Das kann ich schon selbst!“, und schnappt Mama das Taschentuch schnell aus der Hand. Mama rollt mit den Augen, schnallt die beiden an und fährt los. Sie brauchen nicht lange von der Stadt nach Hause.
„Denkt an unsere Schwarzbrot-Abmachung“, sagt sie und schaut in den Rückspiegel, bevor sie zu Hause aussteigen. Nun verdreht Hanno die Augen, manchmal nervt Mama echt mit ihren Regeln, denkt er. Dann steigt er aus und rennt mit Ella um die Wette bis zur Haustür. Drinnen wartet Papa schon am gedeckten Abendbrottisch. Als sich Hanno und Ella hinsetzen und beide ein Stück Schwarzbrot greifen, fragt er: „Seid ihr krank? Was ist denn mit euch los, dass ihr freiwillig Schwarzbrot esst?“ Dann erzählt Mama Papa von der Zuckerwatte, die sie sich alle drei auf dem Jahrmarkt geteilt haben. Und von ihrer Schwarzbrot-Abmachung.
„Na da hat Mama Recht. Wer nascht, der muss auch noch etwas Gesundes essen“, sagt Papa. „Aber woher weiß ich denn was ungesund und gesund ist?“, fragt Hanno. Papa runzelt die Stirn. „Das ist eine gute Frage. Weißt du, selbst Zucker ist nicht immer ungesund, aber zu viel Zucker ist nicht gut. Wenn du zum Beispiel nur Zucker isst und sonst nichts, dann bekommst du Bauchweh. Ob Zucker gesund ist, kommt also darauf an, wie viel Zucker du isst“, erklärt er. „Und wo ist Zucker drin?“, fragt Ella. „Fast überall“, sagt Papa, „Zucker steckt nicht nur in Süßigkeiten und Kuchen, sondern auch in vielen anderen Produkten, wie Ketchup, Pudding, Joghurt, Limonaden und manchmal sogar in Müsli.“ „Uff, aber dann ist das mit dem Gesunden und dem Ungesunden ja ganz schön schwer, Papa“, meint Hanno. Er versucht sich zu erinnern, was er heute alles gegessen hat. War da etwa überall Zucker drin? „Da hast du recht“, sagt Papa und nickt, „Es ist sogar noch ein bisschen komplizierter. Auch in deinem Schwarzbrot ist ein ganz kleines bisschen Zucker drin. Aber eben nur ein bisschen und viel weniger, als in ungesundem Essen. Außerdem gibt es sogar noch einen sehr gesunden Zucker. Den sogenannten Fruchtzucker, der in Früchten wie Äpfel und Birnen zu finden ist.“
Hanno stöhnt. Wie soll er das denn nun alles auseinanderhalten?! Gesundes und ungesundes Essen, gesunder und ungesunder Zucker?! Wie soll man da denn draus schlauwerden!? „Und wo kommt der Zucker im Naschi her?“, bohrt Hanno weiter nach. „Der Zucker kommt aus den sogenannten Zuckerrüben oder dem Zuckerrohr“, sagt Mama, „aber nur die Zuckerrüben werden hier in Deutschland angebaut; denn die Zuckerrohrpflanze wächst nur an sehr warmen Orten auf der Erde.“ „Cool, wachsen solche Rüben auch bei Oma?“, fragt Hanno und denkt an Omas und Opas großen Nutzgarten voll mit Gemüse. „Nein, Oma und Opa haben nur Mohrrüben, also Karotten, und Steckrüben im Garten. Soweit ich mich erinnern kann, ist der Weg des Zuckers aus der Rübe sehr kompliziert. Aber vielleicht können wir morgen einen Ausflug machen und uns das mal genauer angucken?“, meint Mama. Hanno strahlt über beide Wangen. Morgen gibt es wieder einen Ausflug!!
Vorlese-Tipp: Hier unterbrechen, um die Geschichte in Etappen zu lesen.
Am nächsten Morgen haben es Hanno und Ella eilig, sie schlingen ihr Frühstück so schnell herunter, dass Mama sie unterbricht. „Ihr sollt nicht immer so schnell essen“, sagt sie und auch Papa ermahnt sie: „Kauen Kinder, kauen! Es ist Wochenende wir haben alle Zeit der Welt.“ „Aber Papa die Zuckerrüben“, flüstert Ella. „Die laufen uns schon nicht davon“, sagt Papa. Trotzdem können Hanno und Ella es kaum erwarten, diese besonderen Rüben zu sehen. Ob die so rosa sind wie Zuckerwatte?, fragt sich Ella.
Nach dem Frühstück sind Mama und Papa endlich abfahrbereit. Hanno trommelt auf der Rücksitzbank unruhig mit den Füßen hin und her. Und Ella schaut gespannt aus dem Fenster. „Seht mal dort drüben, die große gelbe Maschine am Horizont. Ich glaube wir sind auf dem richtigen Weg!“, sagt Papa. Hanno runzelt die Stirn und auch Ella sieht verwundert aus. Das sieht doch aus wie eine ganz normale grüne Wiese. Und die Maschine ist so groß wie ein Dinosaurier, denkt Hanno. „Wir schauen mal, ob wir dort jemanden treffen, der uns mehr über den Zucker aus Rüben erzählen kann“, sagt Papa und steuert auf die Dino-Maschine zu. So eine große Maschine hat Hanno noch nie gesehen. Als Papa das Auto abstellt und Mama aussteigt, drückt Hanno seine Nase an der Autoscheibe platt. „Die fährt ja schief!“, sagt er und wundert sich, ob die kaputt ist. Normalerweise fahren die Maschinen doch immer geradeaus und nicht so schief. „Oh ja, gut aufgepasst Hanno. Wie es aussieht, hat Mama jemanden gefunden, das kannst du bestimmt gleich fragen“, sagt Papa und nickt in Richtung der Maschine.
Wirklich riesig: Der Rübenroder schneidet die Blätter ab und holt die Rüben aus der Erde.
Mama kommt mit einer blonden Frau aufs Auto zu. Dann guckt die Frau durch Mamas offene Autotür und sagt: „Moin, ich bin Gesa! Ich habe gehört ihr wollt etwas über Zuckerrüben lernen?“ Hanno und Ella nicken schüchtern. „Na dann los, wir sind mitten in der Ernte! Einen besseren Zeitpunkt gibt es also nicht“, sagt Gesa und winkt die beiden aus dem Auto. Papa nimmt Ella auf den Arm, die noch etwas Angst vor der großen Maschine hat und stupst Hanno an. „Du hattest doch eben eine Frage auf dem Herzen“, sagt Papa. „Hmm, jaa. Also ich habe mich gefragt, warum die Maschine schief übers Feld fährt?“, sagt Hanno verlegen.
„Mensch das ist eine super Frage!“, sagt Gesa, „Das ist ein Rübenroder, also eine Rüben-Ernte-Maschine. Denn das Ernten von Früchten, die unter der Erde wachsen – also zum Beispiel Rüben und Kartoffeln – nennt man roden, was so viel heißt wie ausgraben. Diese Maschine hier holt die Rüben nicht nur aus der Erde, sondern schneidet vorher die Blätter ab. Sobald die Rüben ausgegraben sind, werden sie im hinteren Teil der Maschine gelagert. Dadurch ist die Maschine ganz schön schwer, sie wiegt etwa so viel wie zehn große Elefanten. Und deshalb fährt sie so schräg, damit sich ihr Gewicht über den Boden verteilt und die zehn Elefanten nicht an einer kleinen Stelle trampeln. So wird der Boden entlastet. Diese Fahrweise hat sogar einen besonderen Namen und wird Hundegang genannt.“
Hanno muss schmunzeln, Hundegang, das klingt lustig, denkt er. Dabei hat diese Riesenmaschine doch gar nichts gemeinsam mit einem Hund. „Und wie funktioniert das jetzt mit dem Zucker und den Rüben?“, fragt er und starrt das Grünzeug an. Es sieht gar nicht so aus, als würden hier Rüben wachsen, vielmehr so, als wären sie auf einem Salatfeld, denkt er. Gesa kniet sich neben einer Pflanze hin. „Das grüne Blatt der Rübe nennt sich Rübenblatt und wurde früher nach der Ernte eingesammelt. Damals hat man es an Tiere verfüttert, das ist aber viel zu aufwendig und Futter wie Mais und Getreide vertragen die Tiere viel besser, als das Rübenblatt. Heute bleibt es meistens als Dünger auf dem Acker.“
„Okay und wo ist nun der Zucker drin?“, fragt Hanno gelangweilt. Er ist doch nicht hergekommen, um etwas über Blätter zu lernen, denkt er und wird ungeduldig. „Der Zucker ist in der Rübe, also in der Knolle unter der Erde, gespeichert. Die Zuckerrübe kann Energie, die sie über die Blätter zum Beispiel durch Sonnenstrahlen aufnimmt, in Form von Zucker speichern. Um viel Energie aufzunehmen und dadurch viel Zucker einzuspeichern, braucht die Rübe gesunde und große Blätter. Die Blätter sind also sehr wohl wichtig. Im Frühjahr, meist Ende März, säen wir die Zuckerrübensamen mit einer besonderen Maschine, der sogenannten Drillmaschine, aus. Das Korn ist nicht größer als die Spitze deines kleinen Fingers. Zur Ernte ist die Zuckerrübe dann ein Kilogramm schwer, also so schwer wie ein Päckchen Zucker, oder Mehl im Supermarkt.“ „Und die geerntete Rübe wird dann kleingeschnitten und verpackt?“, fragt Hanno und schaut Gesa zu, wie sie eine Rübe mit der Hand ausgräbt. Das sieht ganz schön anstrengend aus. Gut, dass es dafür mittlerweile diese Dino große Maschine gibt, die viele Rüben auf einmal aus der Erde zieht, denkt er. Dann starrt er die ausgebuddelte Rübe an. Sie ist ganz schön hässlich und so dreckig, denkt er. Und der Zucker im Zuckerpott ist weiß wie Schnee. Kann das wirklich sein? Er runzelt ungläubig die Stirn.
„Aber nein, ganz so einfach ist das nicht“, sagt Gesa. „Also deine Idee mit dem Kleinschneiden ist schon gut, aber das reicht leider nicht ganz, denn die Rübe besteht nicht nur aus Zucker. Aber von Anfang an: Die Rübe wird hier geerntet und landet hinten in der Maschine in einem großen Lagerraum, der sich Bunker nennt. Dort werden die Rüben aufbewahrt, also gebunkert, bis der Roder voll ist. Dann fährt die Maschine an den Rand des Ackers und lädt die Rüben auf einem großen Haufen ab. Dieser Haufen wird immer länger, bis er aussieht wie ein großer Wall. Hier, in der sogenannten Rübenmiete, werden die Rüben zwischengelagert. Sie trocknen durch den Wind ab und der getrocknete Schmutz fällt runter. Dann gibt uns die Zuckerfabrik einen Termin, an dem unsere Rüben abgeholt und verarbeitet werden. Denn alleine könnten wir den Zucker gar nicht aus den Rüben herauslösen. Dafür braucht es besondere Technik und Fingerspitzengefühl.“
„Und die Fabrik holt dann die ganzen Rüben ab?“, fragt Hanno. Wie machen die das bloß? Das sind ja eine ganze Menge, wundert er sich. „Genau. Dafür gibt es noch eine andere große Maschine. Die sogenannte Rübenmaus“, erklärt Gesa. Ella kichert auf Papas Arm und auch Hanno muss aufpassen, dass er nicht laut loslacht. Der große Roder fährt im Hundegang und dann holt eine kleine Maus die ganzen Rüben ab? Sowas albernes hat er ja noch nie gehört, denkt er. Gesa grinst: „Ja, der Name ist witzig, das gebe ich zu. Aber so klein wie eine Maus ist diese Maschine natürlich nicht, sie erinnert nur ein bisschen an die Figur einer Maus, weil sie ein Förderband hat, das Ähnlichkeit hat mit dem langen Schwanz einer Maus. Wenn man das Spektakel anschaut, dann sieht es ein bisschen so aus, als würde sich die Rübenmaus durch die Rübenmiete futtern. Auf jeden Fall lädt sie den großen Haufen Rüben in Windeseile auf die LKW auf, die zur Fabrik fahren. Um einen ganzen LKW voll zu machen, braucht sie nicht länger als zehn Minuten, also in etwa eine Schulpause.“ „Und was passiert dann für ein Hokuspokus in der Zuckerfabrik?“, fragt Hanno.
Die Rübenmaus lädt die Zuckerrüben auf einen LKW, der sie in die Zuckerfabrik bringt.
Vorlesetipp: Hier unterbrechen, um die Geschichte in Etappen zu lesen.
„In der Zuckerfabrik werden die Rüben nochmal gereinigt. Das ist wichtig, weil die Rüben, wie ihr seht, noch sehr schmutzig sind und sich zwischen den Rüben auch noch Steine verstecken können“, erklärt Gesa. Ella kniet sich auf die Erde und streichelt über die runzelige Haut der Rübe. Die Rübe ist so rau vom Sand, dass sie sich wie Schmirgelpapier anfühlt. „Nach der ersten Reinigung, wenn die Rüben vom gröbsten Dreck und störenden Steinen befreit sind, werden sie noch intensiver gereinigt. Dieses Mal quasi wie in einer Waschmaschine und erst, wenn sie richtig sauber sind, werden sie zerkleinert. Also hattest du schon Recht, Hanno: Damit man an den Zucker kommt, müssen die Rüben zerkleinert werden.“
Hanno grinst breit, weil er den richtigen Riecher hatte. „Aber, Achtung! Die kleinen Schnipsel, die man Hackschnitzel nennt, sind nicht essbar.“ Schon wieder so ein ulkiges Wort, denkt Hanno. „Die Hackschnitzel werden dann gekocht. Durch das Kochen löst sich der Zucker und geht in das Kochwasser. Also hat man am Ende Zuckerwasser und ausgekochte Rübenschnitzel“, erklärt Gesa weiter. „Hmm, aber dann ist das doch ganz einfach. Das könnten wir auch zu Hause in unserer Küche. Rübenwaschen, kleinschneiden und kochen“, meint Hanno und bekommt Grübelfalten auf der Stirn. „Das stimmt. Aber das ist leider immer noch nicht alles. Die Schnitzel werden dann gepresst und an Tiere verfüttert. Und der Zuckersaft ist noch nicht fertig. Er wird noch einmal gesäubert und aus den letzten Schmutzpartikeln wird Dünger gewonnen. Übrig bleibt der sogenannte Dünnsaft. Dieser wird dann immer weiter eingekocht, bis ein dickerer Saft entsteht, der sogenannte Dicksaft. Ratet mal, was mit dem wieder gemacht wird?“ Gesa schaut Hanno und Ella an.
„Hmm, der wird wieder eingekocht?“, fragt Hanno. Das ist ja super öde, denkt er. Er muss an Oma denken, wie sie stundenlang vorm Herd steht und Marmelade einkocht. Das könnte er nicht, so lange warten und rumstehen. Nur, um dann nichts zu tun, außer rühren. „Richtig! Der Dicksaft wird wieder eingekocht, aber dieses Mal werden ein paar Zuckerkristalle hinzugegeben, das kann man sich so ein bisschen vorstellen wie eine Prise Puderzucker. An diese Kristalle lagern sich dann immer mehr Kristalle aus dem Dicksaft an. Dann werden die Zuckerkristalle und der dickflüssige Sirup voneinander getrennt, indem sie in eine sogenannte Zentrifuge gegeben werden. Diese Maschine ist wie ein besonderes Karussell. Und dann hat man den ersten Zucker, den sogenannten Weißzucker.“
„Den ersten Zucker!?“, fragt Hanno entsetzt. Das war doch jetzt schon ganz schön kompliziert, wie viele Schritte kommen da denn noch, denkt er sich. „Ja, dieser Zucker kommt zum Beispiel in den Ketchup, in Brot, Wurst, Medikamente und in Limonade“, sagt Gesa, „aber der Zucker, den du im Supermarkt zum Backen kaufen kannst, der ist noch ein anderer. Für dessen Herstellung muss der verbleibende Sirup nämlich noch häufiger gekocht werden und braucht noch ein paar Zuckerkristalle mehr. Nach einer Weile kommt dann der Raffinade Zucker raus, der noch feiner und weißer ist als der Weißzucker. Aus einer Zuckerrübe, die ein Kilo wiegt, können etwa 140 Gramm Zucker und damit fast 50 Zuckerwürfel gewonnen werden. Der kleine Rest, der am Ende vom Sirup übrigbleibt, heißt übrigens Melasse und wird auch, wie die Hackschnitzel, an Tiere verfüttert.“
„Das klingt ja schön, dass so viele Sachen aus Zuckerrüben gemacht werden können“, sagt Mama. „Dann ist die Zuckerrübe ja für so viel mehr gut, als ich dachte.“ „Wenn so viele tolle Produkte aus Zuckerrüben gemacht werden können, dann lohnt sich der Anbau bestimmt“, meint Papa und Gesa fängt an zu lachen. „Nein, leider ist das ganz und gar nicht mehr so. Früher gab es gutes Geld für Zuckerrüben, damals hat man sie daher sogar Königin der Ackerfrüchte genannt. Mittlerweile bekomme ich viel weniger Geld für meine Zuckerrüben als früher, weil so viel günstigerer Rohrzucker importiert wird. Dieser Zucker wird aus Zuckerrohr gewonnen, das nur in warmen Ländern wie Südamerika wächst. Und auch der Anbau von Zuckerrüben ist aufwendig. Vor allem in den ersten zwei Wochen nach der Saat muss ich besonders aufpassen, dass nicht zu viele Unkräuter auf meinem Acker wachsen. Da die Zuckerrüben sonst verhungern und nicht wachsen. Bis in den Juni muss ich immer wieder mit einer Maschine zwischen den Reihen hacken, damit die Unkräuter nicht zu groß werden. Und im Juli muss ich nach den Schosserrüben Ausschau halten und anfangen sie mit meinen Mitarbeitern herauszuziehen.“ „Was ist Schosser-… ?!“, fragt Hanno. So langsam wundert er sich gar nicht mehr über die komischen Wörter heute. Wenn er das seinem Kumpel Matz Montag in der Schule erzählt, der fällt vom Glauben ab!
Vorlesetipp: Hier unterbrechen, um die Geschichte in Etappen zu lesen.
„Normalerweise wächst im ersten Jahr eine große, saftige Rübe, in der die Pflanze den Zucker einlagert. Das ist quasi wie eine unterirdische Speisekammer mit Naschivorrat. Wenn ich die Rübe nicht ernten würde, sondern ein weiteres Jahr wachsen lassen würde, dann würde sie ihre Speisekammer plündern, um mit der Energie ihres Naschivorrats, zu blühen und Samen zu entwickeln“, erklärt Gesa, „Aber manchmal gibt es Rüben, die blühen schon im ersten Jahr und haben keine unterirdische Rübe, sondern nur kleine knorrige Wurzeln. Diese Rüben nennen sich Schosserrüben, weil ihre Blätter im Vergleich zu den übrigen Rüben in die Höhe schießen.“ „Aber Blüten sind doch schön“, sagt Ella und denkt an die bunten Blumenfelder im Sommer. Würden hier ein paar Blüten blühen, dann wäre es auf dem Rübenfeld auch nicht so langweilig salatgrün, denkt Hanno.
„Ja, Blüten sind schön. Aber das Problem ist, dass sich diese Rüben vermehren, wenn ich sie nicht rausziehe, dann fällt der Samen auf die Erde und im nächsten Jahr habe ich noch viel mehr von diesen Rüben. Also mehr Rüben, die den dicken Rüben die Nahrung streitig machen und aus denen die Fabrik keinen Zucker herstellen kann. Dann hättet ihr keinen Zucker zum Backen.“ „Uff, und wieso baust du bei all diesen Schwierigkeiten überhaupt Zuckerrüben an? Wenn der Zucker aus dem Ausland sowieso viel günstiger ist?“, fragt Papa. „Ich habe ja nicht nur Rüben, sondern auch noch Kartoffeln und Getreide. Die Zuckerrübe bringt trotz aller Schwierigkeiten auch viele Vorteile mit sich. Zwar wächst sie nur auf sehr guten Böden, aber sie verbessert meine Böden auch, denn sie wurzelt tief. So hat die Frucht, die nach der Zuckerrübe auf dem Acker wächst, einen Vorteil durch die Rübe. Und die Natur freut sich auch, wenn abwechselnd verschiedene Pflanzen auf dem Acker wachsen. Damit die Zuckerrüben gesund bleiben, kann ich nur etwa alle fünf Jahre Zuckerrüben auf ein und demselben Acker anbauen. Sonst würden Schädlinge die Rüben angreifen“, erklärt Gesa.
Landwirtin Gesa mit ihrem Mann Josef, ihrem Sohn und ihrem Hund.
„Danke für deine Zeit Gesa, ich glaube wir haben nun viel über Rübenzucker gelernt. Viel mehr, als ich gedacht hätte“, sagt Mama und Papa nickt. Dann winkt der Roderfahrer Gesa zu und sie verabschieden sich. Hanno und Ella gehen mit Mama und Papa wieder zurück ans Auto. Dort bleiben sie noch ein bisschen sitzen und beobachten wie der Roder seine Bahnen zieht – im Hundegang versteht sich, damit der Boden nicht zu sehr von seinem Elefantengewicht gedrückt wird. So langsam geht der laue Herbsttag zu Ende und das Abendrot steigt am Horizont der Felder auf. „Wisst ihr, es freut mich richtig, dass Gesa Zuckerrüben anbaut“, sagt Mama plötzlich. Verwirrt schauen Hanno und Ella Mama an. „Naja, Zuckerrohr ist zwar günstiger, aber es kommt von so weit her. Bei den Rüben wissen wir ganz genau, wo der Zucker herkommt und wie er geerntet wird. Im Fernsehen gab es schon ein paar Berichte von Zuckerrohrplantagen, auf denen illegale Feuer gemacht wurden, damit die Ernte leichter geht. Das ist verboten und nicht gut für die Umwelt. Außerdem macht es die Arbeiter krank. Da fühle ich mich besser, wenn ich Rübenzucker esse“, erklärt sie. Dann wird Hanno nachdenklich.
„Das stimmt, es ist immer schöner, wenn die Lebensmittel vor der eigenen Haustür wachsen und keinen langen Weg haben“, sagt Papa und meint dann, „Wisst ihr, wann ich auch ein gutes Gefühl habe? Wenn sich meine Kinder immer gründlich die Zähne putzen, wenn sie Zucker genascht haben. Denn dann kommen Karius und Baktus nicht zu Besuch.“ Dann stupst Papa erst Ella und dann Hanno auf die Nase. Hanno verdreht die Augen, Ella gluckst und auch Mama kann wieder lachen. „Kann ich dann nun auch Zuckerrüben in unseren Garten pflanzen?“, fragt Hanno und schaut Mama und Papa erwartungsvoll an. Beide verdrehen die Augen und Papa schneidet eine Grimasse. „Du bist mir auch so ein Spezialist, Hanno. Gesa hat doch gerade erklärt, dass Zuckerrüben besonders gute Böden brauchen. Und unser Garten ist dafür bestimmt viel zu sandig.“ „Wir können’s ja mal probieren und dann wissen wir’s. Und wenn’s klappt, dann eröffne ich meine eigene Zuckerfabrik in der Küche“, sagt Hanno und reibt sich die Finger. „Naja, da haben wir wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden“, sagt Mama. Hanno stöhnt. „Manno, manchmal seid ihr echt Spaßbremsen“, sagt er.
Für diese Kindergeschichte haben wir die Landwirtin Gesa Langenberg interviewt, die mit ihrem Mann Josef, ihrem Sohn und ihrem Hund im Landkreis Diepholz in Niedersachsen Landwirtschaft betreibt. Neben Zuckerrüben baut Gesa verschiedenes Getreide, Kartoffeln und Mais an. Außerdem hält sie auf ihrem Hof noch Schweine. Seit dem Sommer 2021 nimmt Gesa auf dem YouTube-Kanal “Hundert Hektar Heimat” gemeinsam mit drei weiteren Kolleg:innen aus der Landwirtschaft Interessierte mit auf den Acker und in den Stall. Reinschauen lohnt sich sehr!
Fotos: Gesa Langenberg (4), Röper und Steenken (2)
https://deichdeern.com/2021/11/06/kindergeschichte-hanno-und-ella-entdecken-die-bunte-welt-des-zuckers/